? – 1917
Wie blaue Wellen hüpften diese
Tage
Lebendig zwischen bunten Ufern
hin;
Nun steht am Wehr die große
Zweiflerin,
Die Zeit, und staut die Flut.
Ich steh’ und klage.
Vorbei! Ich fühl’s mit jedem
Herzensschlage:
Matt all des farb’gen Treibens
ist mein Sinn,
Ich fühle tief, daß ich
verstoßen bin
Aus allem, was ich war, und
ich verzage.
Was ich empfand als warmes,
tiefstes Leben,
Wie flücht’ge Eintagslust seh’
ich’s entschweben
Matt, wehrlos zwischen Lust
und Überdruß.
Wie Narrenkleider möcht’ ich’s
von mir streifen,
Und meine armen, hast’gen
Hände greifen
Doch bang nach dem, was ich
verlieren muß
? – 1917
1. Traum
Mir träumt’, ich läg’ in
dunkelnder Kapelle,
Da hob sich#s leise wie ein
lindes wehn,
Die Kuppel dehnte sich, schien
zu zergehn,
Und langsam sank, sank unter
mir die Schwelle.
Mich trugs hinauf, und über
mir ward’s helle,
Dem lieben Gott ins Antlitz
durft’ ich sehn,
Wie Sterne friedvoll uns zu
Häupten stehn,
So war dies Antlitz, eine
linde Welle
Von Licht und Güte undvon
tiefem Frieden.
So sah ich nie ein Antlitz
noch hienieden - -
Und, Mutter, da mit eins
gehört es dir!
Ich barg mein weinend Haupt in
deinem Schoße,
Dann sank ich, sank ins
Bodenlose
Und wachte auf, und niemand
war bei mir.
2. Gefühl
Mir war verdrießlich,
nüchtern-kühl zumute,
Mit Zweifeln hatte mich der
Tag genarrt,
Ins weiße Lampenlicht hab’ ich
gestarrt,
Bis alles rot schwamm wie in
warmem Blute –
Und tiefer sank mein Haupt.
Mir war, ich ruhte
In Mutters Erkerzimmer; tiefer
ward
Der roten Ampel Licht, so tief
und zart
Wie deine Märchen, Mütterchen,
du Gute.
So tief, wie wenn sich aus dem
nächt’gen Schoße
Der düstern Wälder feierlich
der große,
Blutrote Mond zum Firmamente
hebt
Und all die Rätsel, die da in
den Tiefen
Des weiten, dunklen Tales
brütend schliefen,
Blut trinken läßt, daß unser
Herz erbebt.
3. Erlebnis
Oft denk’ ich deiner nicht
durch Tag und Stunden,
Das Leben treibt mich
strudelnd hin und her;
Dann kommen Nächte, taub und
dumpf und leer,
Dann, Mutter, dann muß ich
durch dich gesunden!
Wie oft nicht hab’ ich’s
seltsam süß empfunden,
Als setzte auf mein Haupt, so
heiß und schwer,
Sich deine Hand wie eine heil’ge
Wehr,
Sanft, leis und lieb, bis mich
der Schlaf gefunden!
O Mutterhand, hilfst du mir
auch durchs Morgen?
Ich werde zag, gedenk’ ich all
der Sorgen,
Der Wünsche aller, die durch
dich zu mir
Geflossen aus dem Mutterherz,
dem warmen,
Und doch, das Schicksal muß
sich ja erbarmen,
Sonst, Mutter, wie bestünde
ich vor dir? –
4. Erinnerung
Nun löst die Nacht die
schweren schwarzen Flechten,
Aus denen süßes Düften, weich
und lind,
Erquickend über müde Fluren
rinnt,
Als ob die Winde Gottes Odem
brächten.
Da ist mir wieder wie in
schönren Nächten,
Die lang – wie lang! –
hinabgeschwunden sind,
Da abends ich, ein
müdgespieltes Kind,
Die Ärmchen durft’ um Mutters
Nacken flechten,
Und ihre lieben schwarzen
Haare fielen
Mir übers Antlitz, bis dann
Lust und Spielen
Zur guten Nacht mit letztem
Kuß belohnt ...
Heut’ greif’ ich nur in
wesenlose Ferne,
Tief aber in der Seele trau’
ich gerne,
Daß doch auch hier, auch hier
die Liebe wohnt!
5. Segnung
Vordem war ich ein Knabe, ganz
umflossen
Von Mutterliebe. Köstlich war
die Hut.
Ich plätscherte, ein Fischlein
in der Flut,
Von reinem, kühlem Glücke
rings umschlossen.
Die heil’ge Flut liegt still
und tief ergossen,
So heut’ wie einst, da ich in
ihr geruht;
Ich aber fahre durch die
harsche Glut
Der Zeit auf meiner Sehnsucht
Sonnenrossen.
Doch wie die Schwalbe sich aus
Mittagsgluten
Zum Strom herabstürzt und in
seinen Fluten
Die heißen, müden Schwingen
badend kühlt,
So braucht auch meine Seele
zum Gelingen
Des Sonnenflugs, daß sie auf
ihren Schwingen
Den reinen Tau der Mutterliebe
fühlt.