Walter Flex                            Im Wechsel

? – 1917

Wie blaue Wellen hüpften diese Tage

Lebendig zwischen bunten Ufern hin;

Nun steht am Wehr die große Zweiflerin,

Die Zeit, und staut die Flut. Ich steh’ und klage.

 

Vorbei! Ich fühl’s mit jedem Herzensschlage:

Matt all des farb’gen Treibens ist mein Sinn,

Ich fühle tief, daß ich verstoßen bin

Aus allem, was ich war, und ich verzage.

 

Was ich empfand als warmes, tiefstes Leben,

Wie flücht’ge Eintagslust seh’ ich’s entschweben

Matt, wehrlos zwischen Lust und Überdruß.

 

Wie Narrenkleider möcht’ ich’s von mir streifen,

Und meine armen, hast’gen Hände greifen

Doch bang nach dem, was ich verlieren muß

 

 

 

 

 

 

 

Walter Flex                            Mutter

? – 1917

 

1. Traum

 

Mir träumt’, ich läg’ in dunkelnder Kapelle,

Da hob sich#s leise wie ein lindes wehn,

Die Kuppel dehnte sich, schien zu zergehn,

Und langsam sank, sank unter mir die Schwelle.

 

Mich trugs hinauf, und über mir ward’s helle,

Dem lieben Gott ins Antlitz durft’ ich sehn,

Wie Sterne friedvoll uns zu Häupten stehn,

So war dies Antlitz, eine linde Welle

 

Von Licht und Güte undvon tiefem Frieden.

So sah ich nie ein Antlitz noch hienieden - -

Und, Mutter, da mit eins gehört es dir!

 

Ich barg mein weinend Haupt in deinem Schoße,

Dann sank ich, sank ins Bodenlose

Und wachte auf, und niemand war bei mir.

 

 

2. Gefühl

 

Mir war verdrießlich, nüchtern-kühl zumute,

Mit Zweifeln hatte mich der Tag genarrt,

Ins weiße Lampenlicht hab’ ich gestarrt,

Bis alles rot schwamm wie in warmem Blute –

 

Und tiefer sank mein Haupt. Mir war, ich ruhte

In Mutters Erkerzimmer; tiefer ward

Der roten Ampel Licht, so tief und zart

Wie deine Märchen, Mütterchen, du Gute.

 

So tief, wie wenn sich aus dem nächt’gen Schoße

Der düstern Wälder feierlich der große,

Blutrote Mond zum Firmamente hebt

 

Und all die Rätsel, die da in den Tiefen

Des weiten, dunklen Tales brütend schliefen,

Blut trinken läßt, daß unser Herz erbebt.

 

 

3. Erlebnis

 

Oft denk’ ich deiner nicht durch Tag und Stunden,

Das Leben treibt mich strudelnd hin und her;

Dann kommen Nächte, taub und dumpf und leer,

Dann, Mutter, dann muß ich durch dich gesunden!

 

Wie oft nicht hab’ ich’s seltsam süß empfunden,

Als setzte auf mein Haupt, so heiß und schwer,

Sich deine Hand wie eine heil’ge Wehr,

Sanft, leis und lieb, bis mich der Schlaf gefunden!

 

O Mutterhand, hilfst du mir auch durchs Morgen?

Ich werde zag, gedenk’ ich all der Sorgen,

Der Wünsche aller, die durch dich zu mir

 

Geflossen aus dem Mutterherz, dem warmen,

Und doch, das Schicksal muß sich ja erbarmen,

Sonst, Mutter, wie bestünde ich vor dir? –

 

 

4. Erinnerung

 

Nun löst die Nacht die schweren schwarzen Flechten,

Aus denen süßes Düften, weich und lind,

Erquickend über müde Fluren rinnt,

Als ob die Winde Gottes Odem brächten.

 

Da ist mir wieder wie in schönren Nächten,

Die lang – wie lang! – hinabgeschwunden sind,

Da abends ich, ein müdgespieltes Kind,

Die Ärmchen durft’ um Mutters Nacken flechten,

 

Und ihre lieben schwarzen Haare fielen

Mir übers Antlitz, bis dann Lust und Spielen

Zur guten Nacht mit letztem Kuß belohnt ...

 

Heut’ greif’ ich nur in wesenlose Ferne,

Tief aber in der Seele trau’ ich gerne,

Daß doch auch hier, auch hier die Liebe wohnt!

 

 

5. Segnung

 

Vordem war ich ein Knabe, ganz umflossen

Von Mutterliebe. Köstlich war die Hut.

Ich plätscherte, ein Fischlein in der Flut,

Von reinem, kühlem Glücke rings umschlossen.

 

Die heil’ge Flut liegt still und tief ergossen,

So heut’ wie einst, da ich in ihr geruht;

Ich aber fahre durch die harsche Glut

Der Zeit auf meiner Sehnsucht Sonnenrossen.

 

Doch wie die Schwalbe sich aus Mittagsgluten

Zum Strom herabstürzt und in seinen Fluten

Die heißen, müden Schwingen badend kühlt,

 

So braucht auch meine Seele zum Gelingen

Des Sonnenflugs, daß sie auf ihren Schwingen

Den reinen Tau der Mutterliebe fühlt.